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POMERANZ COLLECTION

ANDREA GEYER

Parallax, Set 2
2003
6 Digitale C-Prints
48 x 73 cm
Edition 4/5 (+2 A.P.)
Inv. Nr. 27

Geboren 1971 in Freiburg, Deutschland
Lebt und arbeitet in Freiburg, Deutschland und New York City, New York, USA

Andrea Geyer, die 1996 ihren Abschluss an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig machte und im Jahr 2000 am Independent Study Program des Whitney Museums teilnahm, befasst sich mit historischen Begriffen wie nationale Identität, Geschlecht und Klasse im marxistischen Sinn. Sie bedient sich der Fiktion ebenso wie dokumentarischer Strategien und vereint in ihren Text- und Bildarbeiten Narration, historische Fakten und Theorie zu pointierten Gesellschaftskommentaren.

Für die Arbeit Parallax sammelte Geyer von September 2001 bis August 2003 Zeitungsausschnitte und fotografierte New Yorks öffentliche Plätze, berühmte Denkmäler, Gerichtssäle, Museen und Bibliotheken. Das Material wurde zu einer geloopten, fünfzigminütigen tonlosen Diapräsentation auf acht synchronisierten Projektoren zusammengefasst. Von dieser Arbeit existiert auch eine fotografische Version. Es geht um das Thema der Entfremdung in der Großstadt; vor allem aber befasst sich Parallax auf verstörende Weise mit der Aufgabe demokratischer Werte in den USA nach dem 11. September. Im Anschluss an Allan Sekula oder auch Chris Marker verwandelt Geyer ihre Fotografien in eine dokumentarische Erzählung, die offenlegt, was uns den Blick auf die Wirklichkeit versperrt.

Spiral Lands. Chapter 1 ist eine Serie von Fotografien, die Landschaftsaufnahmen aus dem US-amerikanischen Südwesten zeigen: weite Horizonte, Wüstensträucher und Wälder. Begleitet werden die Fotografien von Texttafeln, auf denen die Künstlerin ihre Sicht auf die Landschaft schildert, gefärbt durch mündliche Überlieferungen der indianischen Ureinwohner und durch den politischen Diskurs. Im Gegensatz zu den mythischen Gemeinplätzen der Hollywood-Western zeigt Geyer die aktuellen Probleme und Widersprüche dieses sensiblen und duldsamen Landstrichs auf, der eine so zentrale Rolle im US-amerikanischen Selbstverständnis spielt und dessen reichhaltige Kultur daher im gleichen Maße geschützt wie ausgebeutet wird. Geyers fotografische und schriftliche Auseinandersetzung mit dieser Region ist eine Einladung an den Betrachter, sie mit neuen Augen zu sehen.

In Audrey Munson, einem ehemaligen Künstlermodell, fand Geyer das Thema für eines ihrer jüngeren Werke. Nach ersten Aufträgen Anfang des letzten Jahrhunderts war Munson bald das beliebteste Modell der New Yorker Bildhauer, die in ihrem ausdrucksvollen Gesicht und ihrer außergewöhnlichen Schönheit die perfekte Vorlage für allegorische Figuren sahen. Mindestens 15 Skulpturen in New York tragen Munsons Züge, die, 1996 verstorben, damit zwar allgegenwärtig ist, dennoch vollkommen in Vergessenheit geraten war. Ihr Gesicht fesselte die Künstler nur wenige Jahre. In ihrer Not unternahm Munson 1922 einen gescheiterten Selbstmordversuch und wurde 1931 in ein staatliches Krankenhaus für Geisteskranke eingewiesen. Bis zu ihrem Tod mehr als sechzig Jahre später lebte Munson in dem Spital in Ogdensburg. Mit ihrem Projekt zeigt Geyer in einem historischen Kontext, wie die Macht des Patriarchats immer wieder Frauen zur Unsichtbarkeit verdammt. Die Serie Intaglio. Audrey Munson (2008) versucht, Fotografien all der New Yorker Skulpturen zusammenzutragen, für die Munson Modell stand. Geyers Porträts zeigen den eigentlichen Körper des Modells, wie er sich in den klassizistischen Skulpturen abzeichnet. Zudem hat Geyer silhouettenhafte Darstellungen von Suffragetten und streikenden Näherinnen – die Bilder stammen aus Archiven – in das Rahmenglas einer jeden Fotografie geätzt. Geyer blendet den Fotografien so die umwälzenden historischen Ereignisse vor, die sich in der Zeit abspielten, in der die Skulpturen geschaffen wurden, und stellt damit deren allegorische Behauptungen von Einigkeit und Würde zur Disposition.

Companions of Exile (2008) ist eine Fotoserie, aufgenommen auf dem Gelände des ehemaligen St. Lawrence State Hospital for the Insane, jener Anstalt, wo Audrey Munson die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte. Die Architektur der Klinikgebäude ist nur von Ferne zu sehen, Geyer fokussiert auf Baumstämme, auf die Bäume, die weiterhin auf einem Gelände wachsen, wo einst Menschen eingesperrt waren. In das Rahmenglas der Fotografien sind kurze, von Geyer verfasste Texte geätzt, die sich mit historischen Beschreibungen von Wahnsinn, Geisteskrankheiten und Hysterie besonders der Frauen beschäftigen, deren Leidenschaftlichkeit oder Wut sie in die restriktiven Institutionen des späten viktorianischen Zeitalters verbannte.